Mich irritiert die fehlende Präzision dieser immer wieder aufkommenden Diskussion. Das fängt schon damit an, dass die Fragestellung selten offen formuliert ist – ein sinnvolles Beispiel wäre etwa „Wie verhalten sich Konsum von Werken und Einstellung zu an diesen Werken beteiligten Personen zueinander?“, sondern zu 95% immer die gleiche Wendung verwendet wird: „Kann man Kunst vom Künstler trennen?“ Fast niemand bemüht sich darum, zu erklären, was genau dieses
Trennen jetzt eigentlich ist und wie das funktionieren soll. Wenn ich nicht vollkommen bescheuert bin, sind Kunst und Künstler bereits
getrennt, weil es separate Dinge sind. Es gibt Kunstwerke, von denen niemand weiß, wer sie gemacht hat, und es gibt Menschen, deren Kunst verschollen ist. Viel getrennter gehts kaum noch; falls also jemand einen Beweis gebraucht hätte, dass Kunst und Künstler nicht dieselbe Sache sind, bitteschön.
Ich überlege immer wieder, was mit diesem mysteriösen Trennen denn nun gemeint ist, und auffallend ist, dass immer dann vom Trennen die Rede ist, wenn Künstler in Ungnade gefallen sind; wenn nichts besonders Schlechtes oder einfach überhaupt nicht viel über den Künstler bekannt ist, redet auch keiner vom Trennen. Wenn jemand sagt, er könne nicht zwischen Kunst und Künstler trennen, meint er damit, dass er keine Kunst von Künstlern konsumiert, die er unsympathisch oder schlimmeres findet. Wenn jemand sagt, er trenne Kunst und Künstler, ist er hingegen jemand, der das tut. Da stellt sich natürlich die Frage, was eigentlich passiert, wenn man diese sagenhafte Trennung nicht vollzieht und trotzdem solche Kunst konsumiert. Explodiert dann das Universum?
Über der Diskussion hängt oft ein Schatten von moralischer Verurteilung; diejenigen, die Kunst von in Ungnade gefallenen Künstlern hören, sind in der Defensive und dass sie Kunst und Künstler kunstvoll trennen, soll sie vor jener Verurteilung schützen. Es fallen öfter Sätze nach dem Schema „Ich finde schon, dass man diese Kunst immer noch konsumieren kann. Man muss Kunst und Künstler trennen können.“ Das klingt für mich so, als wären Kunst und Künstler eine Einheit und der moralische Status des Künstlers würde daher automatisch auf den des Kunstwerks übergehen; nur mit dem heiligen Ritual der „Trennung“ kann diese einzelne Entität entzweit und das verhindert werden. Würde man das nicht tun, würde man moralisch verwerfliche Kunst konsumieren, und das wäre wiederum selbst moralisch verwerflich. Ist der Künstler hingegen moralisch redlich, konsumiert man moralisch redliche Kunst, was moralisch redlich ist, und das macht die Anwendung der ominösen Trennung reizlos, denn wer will schon darauf verzichten, etwas moralisch redliches zu tun? Das beantwortet aber alles nicht die Frage, was dieses Trennungsritual jetzt genau ist und wie es funktioniert.
Ich habe mir wahrscheinlich jetzt schon mehr Gedanken dazu gemacht als jeder, der diese Phrase je benutzt hat, und ich kann nun mal keine wirkliche Meinung zu einem Begriff abgeben, der nicht sinnvoll definiert ist und von einem Nebel aus vagem metaphysischem Blabla umgeben wird, also muss ichs wohl dabei belassen (dabei habe ich mit dem Abschicken dieses Posts extra vier Wochen gewartet, falls ich noch eine Art Geistesblitz bekomme
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).