Ich sah mir in diesem Jahr zum ersten Mal die - wer hätte es gedacht - Reitwettbewerbe in Olympia an. Es waren sehr spannende und emotionale Wochen und ich werde zu jedem Tag meine Eindrücke niederschreiben. Eines möchte ich allerdings jetzt schon erwähnen und am Ende des Posts vertiefen: Mir sind die Schattenseiten des Pferdesports bewusst und ich heiße diese keinesfalls gut. Aber zunächst die größtenteils positiven Erlebnisse:
27. Juli: Vielseitigkeitsreiten, Dressur
Am ersten Tag gab es leider technische Schwierigkeiten: Die Anzeige, was für Lektionen zu absolvieren waren, war falsch und somit fast die gesamte Zeit ausgeblendet, bis sie irgendwann mal repariert wurde. Somit war es für mich als Laie schwierig, dem Verlauf zu folgen. Und besonders störte mich, dass der Livestream-Kommentator Hermann Valkyser etliche Paare gar nicht kommentierte und teilweise über Stunden verschwunden war. Der erste Tag ging zwar von 09:30 Uhr bis 18:30 Uhr und damit mit deutlichem Abstand am längsten, doch das Verhalten fand ich furchtbar. Dennoch war ich sehr glücklich über die herausragende Performance von Michael Jung.
28. Juli: Vielseitigkeitsreiten, Geländeritt
Ich dachte, beim Springreiten würde es zu den heftigsten Zwischenfällen kommen, tatsächlich war es aber beim Geländeritt. Kein Wunder: Über neun Minuten galoppierten die Pferde durch einen langen Parcours mit erbauten und natürlichen Hindernissen. Es war zwar die spektakulärste Teildisziplin mit einer atemberaubenden Kulisse, allerdings eben auch die gefährlichste. Ich kann mich an einen Moment erinnern, als zum einzigen Mal während der Wettkampftage selbst ein Pferd stürzte, doch da passierte glücklicherweise nichts Tragisches. Und es gab einen negativen Moment mit einem Tschechen, der sein Pferd zum Weitermachen antrieb, obwohl dieses mit dem Parcours überfordert war. Das erboste auch Kommentator Carsten Sostmeier. Leider stürzte zudem Christoph Wahler, sodass die Team-Medaille nicht mehr zu erreichen war. Ich hatte da schon Angst, dass bei diesen Olympischen Spielen alles für die deutschen Reiter schiefgehen würde - ausgerechnet dann, wenn ich mal zuschaue. Dafür gab es einen sehr schönen Ritt von Michael Jung und mir dämmerte, dass er der heiße Medaillenfavorit war und nicht etwa Julia Krajewksi, welche in Tokio 2021 Gold im Einzel holte.
29. Juli: Vielseitigkeitsreiten, Springreiten
Erst mal wieder ein technischer Fehler, dass zwischenzeitlich die Stoppuhr stockte und rausgenommen werden musste, aber der wurde doch relativ schnell behoben. Nach dem ersten Durchlauf von Michael Jung, welcher vier Strafpunkte erzielte, gab ich zunächst die Gold-Hoffnung auf, aber dann kam dieser unfassbare Moment, als seine britische Konkurrentin Laura Collett bei ihrem Jubel am letzten Hindernis selbst patzte und alles wieder offen war. Den zweiten und finalen Durchlauf schaffte Michael Jung fehlerfrei und ich weiß nicht mehr zu 100 %, ob ich bereits nach seiner Leistung beim Dressurreiten oder beim Geländeritt weinte, doch bei seinem Sieg auf jeden Fall - und das auch sehr intensiv, bestimmt 25-30 Minuten in mehreren Intervallen. Sein Pferd Chipmunk war so toll und es platzte aus mir heraus. Hinzu kam ja, dass sich das Vielseitigkeitsreiten über drei Teildisziplinen und Wettkampftage erstreckte und man dadurch am längsten zitterte, ob es Michael Jung und sein Pferd am Ende schaffen werden.
30. Juli und 31. Juli: Dressurreiten, Qualifikation
Hier kann ich nicht so viel schreiben. Ich war mir doch sehr sicher, dass Isabell Werth und Jessica von Bredow-Werndl problemlos ins Finale einziehen würden und auch ihr drittes Teammitglied Frederic Wandres erfüllte die Erwartungen.
1. August und 2. August: Springreiten Mannschaft, Qualifikation und Finale
Da ich mir im Voraus anschaute, wie Deutschland bei diversen vorherigen Olympischen Spielen in den Disziplinen abschnitt und wir nicht gut im Springreiten waren, hatte ich hier mit nichts gerechnet und vermutete, ich könnte zwei Tage entspannen, bevor es am 3. und 4. August ernst in der Dressur wird. Völlig überraschend schaffte es allerdings die gesamte deutsche Mannschaft fehlerfrei durch die Qualifikation und man konnte sich Medaillenhoffnungen machen. So fieberte ich am 2. August doch mit, aber schnell wurde klar, dass im Finale nicht an diese Leistung angeknüpft werden konnte. Schade.
3. August: Dressurreiten Mannschaft, Finale
Holy shit, war das ein krasses Finale mit Jessica von Bredow-Werndl und ihrem Pferd Dalera. Sie brauchten etwa 79,6 %, damit das deutsche Team Gold gewinnt und zunächst schien alles super, aber dann der Schock, als Dalera plötzlich nicht in die nächste Lektion kam und die Prozentpunkte auf etwa 76 % fielen. Ich fürchtete, dass es keine Chance mehr auf den Sieg gab, doch dann lief alles wie am Schnürchen und die Prozente stiegen leicht immer weiter an, bis die Anzeige zur finalen Rechnung rausgenommen wurde und man bangen musste, ob es reichte. Und dann gewann die deutsche Mannschaft hauchdünn mit 0,121 % Vorsprung, so knapp wie wohl noch nie im Dressurreiten. Es flossen bei mir natürlich die nächsten Tränen und auch Carsten Sostmeier war vollkommen aus dem Häuschen.
4. August: Dressurreiten Einzel, Finale
Darauf war ich eigentlich am meisten gespannt, weil ich davon Videos auf YouTube sah, wie Pferde zu besonderer Musik Küren vorführten und ich das wunderschön fand. Aber dann der Dämpfer: Weil jedes Pferd eine eigene Kür hatte, gab es keine Prozente-Anzeige und damit keinen Vergleichsaspekt für Laienzuschauer. Man konnte nur grobe Fehler erkennen, wenn ein Pferd mal stehenblieb oder gar nicht in eine Lektion wollte, ansonsten sah alles quasi gleich aus. Hier konnte ich dann schon Leute verstehen, welche meinten, Dressurreiten wäre langweilig, weil man nichts zum Unterscheiden hatte. Übrigens gab es an vorherigen Wettkampftagen auch keine Anzeige, wenn die jeweils ersten Reiter einer Gruppe dran waren, was dann auch an späteren Tagen behoben wurde. Jedenfalls änderte sich alles, als Isabell Werth dran war und ich hoffte, dass sie perfekt abschneiden würde. Als angekündigt wurde, dass sie für ihre Kür den Song „Mandy“, welchen ich ohnehin schon fantastisch fand, für ihr Pferd Wendy zu „Wendy“ umtextete und dieser dann während der Performance lief, weinte ich schon während des Auftritts, weil das so unbeschreiblich cute war. Ebenso weinte ich, als Jessica von Bredow-Werndl mit Dalera diesmal einen legendären Ritt absolvierte und auch das Einzel gewann. Das Zitat von Casten Sostmeier (eigl. von Jessica von Bredow-Werndl), dass Dalera, falls sie sprechen könnte, „Ich liebe dich.“ sagen würde, rührte mich auch zu Tränen.
5. August und 6. August: Springreiten Einzel, Qualifikation und Finale
Bei der Qualifikation kann ich mich an eine Thailänderin erinnern, welche so überfordert mit ihrem Pferd war, dass sie noch während ihres Versuchs disqualifiziert wurde. Und ein Brite krachte volle Wucht durch eine Mauer, sodass es sehr laut rumste. Im Finale gewann dann Christian Kukuk die Goldmedaille und ich - ihr habt es erraten - weinte wieder. Es war die vierte von sechs möglichen Goldmedaillen im Pferdesport und damit ein sehr erfolgreiches Jahr für die deutschen Reiter. Ohne den Sturz von Christoph Wahler beim Geländeritt und mit etwas mehr Glück im Springreiten-Mannschaftsfinale hätten eventuell sogar alle drin sein können, aber man sollte nicht übertreiben. Ich war mehr als froh, dass es bei meinen ersten Olympischen Spielen als Zuschauer so gut lief.
Als Bonus sah ich mir noch die Springreiten-Teile im Modernen Fünfkampf an. Lange wägte ich ab, ob ich es mache oder nicht, weil es die heftigen Negativschlagzeilen mit Annika Schleu gab, doch ich wollte noch mehr Pferde sehen und da es das letzte Mal mit Reiten als Teil des Modernen Fünfkampfes war, wollte ich dabei sein. Allerdings war es schon ein deutlich anderes und doch mulmiges Gefühl, Reiter zu sehen, welche nur 20 Minuten Zeit hatten, um sich auf die Pferde einzustellen. Und tatsächlich kam es hier zu vielen Stangenabwürfen und sogar Stürzen von den Pferden, zum Glück blieben aber Menschen und Tiere allesamt unversehrt. Ich bin jedenfalls der Meinung, dass es das Beste ist, dass hier nun Schluss mit Reiten ist, denn bei den Reitwettbewerben sah man eindeutig, wie wichtig eine enge Bindung von Reitern und ihren Pferden ist.
Dann noch kurz zu den Kommentatoren: Ich begreife nicht, wie das so ein extremer Unterschied wie Tag und Nacht sein konnte. Während Hermann Valkyser gefühlt fast beim Reden einschlief und wie gesagt am ersten Tag sogar stundenlang einfach verschwand, war Carsten Sostmeier mit Feuer und Flamme dabei. Man merkte zu jeder Sekunde, dass Pferdesport seine große Leidenschaft ist und es war ein unbeschreiblich tolles Gefühl, jemandem zu lauschen, der Pferde so sehr liebt wie ich. Er weinte auch leicht, wann immer wir eine Goldmedaille gewannen und entschuldigte sich sogar für seine Emotionen, aber wenn es einer verstehen konnte, dann ja wohl ich, den es noch viel mehr mitnahm. Unvergessen wird für mich auch sein allerletzter Satz bleiben, als das Springreiten am 6. August und damit der letzte Rettbewerb endete, denn sein Dank ging an die Pferde. Auch da weinte ich wieder.
Nun noch zu den negativen Aspekten: Den Fall Charlotte Dujardin sah ich schon vor dem Beginn der Olympischen Spiele und ich war fassungslos, was sie ihrem Pferd antat. Das waren schreckliche Bilder, bei denen ich Im Gegensatz zu den anderen Malen garantiert keine Freudentränen vergoss, sondern welche des Entsetzens. Er überschattete ein wenig die Wettkampftage und wurde von den Kommentatoren immer wieder aufgegriffen und eingeordnet. Und ja, ich bin nicht so naiv und weiß, dass sie bestimmt nicht die Einzige ist, die hinter den Kulissen zu solchen Methoden greift, aber ich halte es definitiv für falsch, ihr Fehlverhalten auf den gesamten Sport zu projizieren. Gerade die deutschen Teams bewiesen, dass es anders geht und ich merkte ihren Pferden an, dass sie glücklich sind. Die Bindung zwischen Reitern und Pferden war dort zweifelsohne durch den Monitor spürbar.
Während der Wettkampftage gab es immer mal wieder kleinere Zwischenfälle: Blut im Pferdemaul, Blut am Pferdehinterbein, unzählige Stürze sowie Meldungen, dass Pferde nicht fit genug zum Antreten wären. Ich tat mein Bestmögliches, um jeden einzelnen Fall zu recherchieren und sicherzustellen, dass nichts Ernstes geschah. In der Tat hieß es immer, dass die leicht verletzten Pferde schnell wieder vollständig genesen werden. Und ich fand auch keine Nachrichten, dass Pferde stark verletzt wurden oder gar Schlimmeres passierte. Insofern waren diese Olympischen Spiele meiner Ansicht nach ein Sicherheitserfolg und sorgten dafür, dass sich die Debatte, ob Reitwettbewerbe bei Olympia eine Zukunft haben, nicht mehr erhitzen wird.
Auch wenn ich die Kommentare von Carsten Sostmeier liebte und das Stadion stets so gut wie voll war, sodass 16.000 Menschen mein Interesse für Pferde teilten, so war doch ein Gefühl von Einsamkeit vorhanden. Ich konnte irgendwann nicht mehr Kommentare im Internet zu den Disziplinen lesen, weil es unter Garantie immer etliche Leute gab, welche was von Tierquälerei schrieben. Und ich verübelte es ihnen nicht mal, weil sie lediglich am Tierwohl interessiert waren und sich positiv für Pferde aussprachen. Dennoch hätte ich mir gewünscht, dass die Meldungen über deutsche Erfolge mehr Positivität erzeugt hätten, denn diese zeigten doch nun mal, wie es richtig geht und sie ihre Pferde garantiert nicht quälten. Ich kann Menschen verstehen, die dem Pferdesport negativ gegenüber stehen, doch man sollte nicht blind alles verteufeln, nur weil es schwarze Schafe gibt. Was manche Leute beim Dressurreiten öde fanden, war für mich das Schönste, was ich jemals sah. Wenn Reiter und Pferd eine innige Verbindung haben, gibt es nichts Traumhafteres auf der Welt.
Die nächsten Reitwettbewerbe 2028 werde ich mir auf jeden Fall auch anschauen.