Ich habe heute sowohl den Gojira von 1954 als auch Shin Gojira von 2016/2017 gesehen.
Der Erste war durchaus interessant. Viele der Visuals sind halt aus heutiger sicht eher belustigend denn angst-/ehrfurchteinflößend, dennoch konnte ich der Machart sehr viel abgewinnen. Aus filmtechnischer Perspektive fand ich ihn wirklich interessant und faszinierend. Storytechnisch fand ich ihn ebenfalls hervorragend; durchzogen von Metaphern und Allegorien ist er ein überaus eindrucksvolles Werk, welches sich mit der (damals) jungen japanischen Nukleargeschichte auseinandersetzt.
Shin Gojira hingegen landet definitiv in den top 10 meiner absoluten Lieblingsfilme. Von vorne bis hinten fand ich ihn in jeder Hinsicht ein Meisterwerk, angefangen bei der Regie durch Hideaki Anno. Was ich schon an Neon Genesis Evangelion bewundert und geliebt habe, ist durchgängig in diesem Film ebenfalls zu spüren. Der Mann hat einen komplett eigenen Stil, Filme zu drehen, und die Machart von Shin Gojira ist eine erneute Manifestation seines Genius. Die Audiogestaltung hält ebenfalls par, aufgrund der Tatsache dass ich den Film in einem kino-ähnlichen Saal bewundern durfte, kam diese auch zur vollen Geltung. Die Musik war stets passend (mit dem "Hauptthema" zu Spannungszeiten wird man ebenfalls wieder in die Welt von Evangelion entführt) und untermalte das Geschehen makellos; die Geräuschkulisse stimmte ebenso, auch wenn ich fand, dass es einigen eingerissene Gebäude an Klangtiefe fehlte.
Nun aber zur Handlung, und die war phänomenal. Auch wenn der Film in Japan spielt und demnach viele Thematiken sowie Prozesse und Problemstellungen des Landes aufgreift, so ist das Muster doch fast universell anwendbar, insbesondere was die verballhornte Bürokratie anbelangt, deren Darstellung realistischer nicht hätte sein können. Ich möchte würde gerne vorgreifen, aber dafür muss ich erst einen Antrag bei dem dafür vorgesehenen Ministerium einreichen, für dessen Kodifizierung nach erfolgter Abstimmung noch die Unterschrift eines Souverän benötigt wird, welcher sich aber momentan auf Geschäftsreise befindet.
Die Thematik, welche diese Kritik der postmodernen Gesellschaft und ihrer Tagespolitik, das Rampenlicht der Relevanz stiehlt, ist jedoch dem Umgang mit 3.11. zuzuschreiben. Diese scheinbar zufälligen Zahlen, welche, nicht unbeabsichtigt, verdächtig nach 9/11 klingen, gewinnen für den Laien mehr an Bedeutung, wenn stattdessen die Worte "Dreifachkatastrophe" "Tôhoku-Erdbeben" oder am simpelsten "Fukushima" fallen. Insbesondere Letzteres hat sich als das neue Tschernobyl in das kollektive Gedächtnis der Gesellschaft eingebrannt, und die negative Konnotation ist in jedem noch so fernen Winkel der industrialisierten Welt präsent. Betrachtet man Shin Gojira mit Hinblick auf die Dreifachkatastrophe, so erscheint der Film in einem komplett neuen Licht, und viele Geschehnisse, welche vorher vielleicht arbiträr, irrelevant oder gar als "schlecht und langweilig", erhalten Gewicht. Die durch Bürokratie gelähmte Regierung, der leichtfertige Umgang mit der gefährlichsten (aber dafür eben produktivsten und am wenigsten wegzudenkensten) Energiegewinnungsmethode, die horrenden Opferzahlen, all das spiegelt sich in diesem Film wieder. Insbesondere das Ende könnte nicht paralleler verlaufen, und an dieser Stelle sei einer der zuletzt gefallenen Sätze zu zitieren, welcher nicht nur die Positionierung, sondern auch Brillianz des Filmes auf den Punkt bringt: "Die Menschheit muss lernen, mit Godzilla zu leben".
Zu guter letzt behandelt der Film sogar abseits (aber auch in Verbindung) dessen kurzzeitig Japans Selbstverständnis, indem es das Selbstverteidigungsheer in direkten Kontrast zu der Schlagfertigkeit der US-Armee stellt; eine Thematik, welche gerade nach den Parlamentwahlen (aber auch schon zur Erscheinung des Films nicht veraltet war) an enormer Bedeutung gewinnt.
Wie aus meiner ausschweifenden Beschreibung und Wertung des Films hervorgeht, bin ich absolut überwältigt und kann Shin Gojira jedem wärmstens empfehlen, der mit tagesaktueller Gesellschaftskritik sowie grandioser filmischer Inszenierungskunst etwas anfangen kann. Wer auf schnelle Action und heiße Monsterkämpfe zwischen Godzilla und dem nächsten brandheißen Fantasiewesen hofft, wird hier allerdings nicht glücklich werden.
Aufgrund der Tatsache, dass ich (zumindest nach erstem Anschauen) keine wirklichen Mängel am Film feststellen konnte, beläuft sich meine Wertung auf 9.8/10