Das nervigste an dem ganzen Thema ist auch für mich, dass man da kaum ordentlich drüber reden kann, weil die meisten nicht Betroffenen da sofort eine sehr energische und festgefahrene Meinung haben, an derer es sich abzurackern keinen Sinn hat. Daher schön, dass wirs hier ohne Salz und sachlich diskutieren können
Also erstmal ist meine Meinung dazu, dass man es als Privatperson für sich individuell ausmachen sollte, aber ich es bei Firmen/Institutionen/sonstwie nicht-Privatpersonen ok finde, wenn das als Regel festgelegt wird. Privat Sprachgebrauch festzuschreiben ist schwierig und ein Drahtseilakt - Begriffe wie Slurs und derlei rassistische und diffamierende Schimpfwörter zu sanktionieren ist prinzipiell gut (auch eine Diskussion an sich auf die ich nicht eingehen will), aber Sprachpräsktriptivismus ("so und so soll es sein und ist Sprache richtig!") find ich scheiße, wobei das auch mehr in eine sprachwissenschaftliche Richtung geht. Jedenfalls - Regeln für den Sprachgebrauch in der/an die Öffentlichkeit sind nichts neues, man achtet ja in Zeitungen auch auf Rechtschreibung und grammatische Korrektheit, da wäre eine Regel wie Gendern kein Tabubruch.
Jetzt aber zur Krux der Frage, dem Warum. Geschlechtergerechte Sprache ist, entgegen der diffamierenden Darstellung mancher Medien, keine Initiative feministischer Gutmenschen aus ihrem akademischen Elfenbeinturm, sondern ist schon lange ein Thema und auch schon lange ein Problem. Das Ding ist - Sprache beeinflusst die Realität. Was wir sagen, und wie wir es sagen, hat Gewicht. Wenn ich meinen Gesprächspartner ständig nur mit "du grenzdebiler Flachwichser" anrede, hat das eine gewisse Auswirkung, ebenso wie wenn ich ihn mit "mein liebster Freund" anspräche. Ich denke auf dieses Faktum kann man sich einigen, Sprache sagt was aus.
Jetzt kommt halt das Ding. Auch geschlechtergerechte, bzw. noch mehr die geschlechter
ungerechte Sprache hat auch Auswirkungen auf die Realität, und zwar negative. Teilweise stark negative. Mal ein Beispiel: Ich telefoniere mit dir und erzähle folgendes: "Ey, ich hab heute am Bahnhof drei Anwälte gesehen, und zwei davon hatten einen Rock an." Ich denke, für viele Menschen ist die erste Reaktion ein "huch, wie kommt der Typ denn dazu, nen Rock zu tragen?" bis dann der Groschen fällt "ach, zwei von den Anwälten waren Anwältinnen!"
Auf dieser Ebene bewegen wir uns hier. In diesem Beispiel ist es harmlos, aber reale Negativfolgen kommen dann, wenn in Stellenausschreibungen nur die männliche Form ausgeschrieben wird, denn das führt dazu, dass sich dann weniger Frauen bewerben, als wenn zB nach Kellner*innen gesucht wird. Und der Gipfel dieser realen Folgen, und ein Grund für mich, warum ich es für wichtig halte, findet sich in der Geschichte. Das Frauenwahlrecht wurde in der Schweiz erst nach vielem Kämpfen 1971 eingeführt. Schon 1928 wurde eine Bewegung für das Frauenwahlrecht vor Gericht mit der Begründung niedergeschlagen: In der Verfassung der Schweiz steht, dass vor dem Gesetz alle Schweizer gleich sind. Viele kritisieren das Gendern ja mit der Begründung "Frauen sind mitgemeint" - nein. Mit so einem Scheiß muss man sich rumschlagen. Geschlechtergerechte Sprache hat seinen Sinn, denn die Alternative kann man hier sehen. Und ich lass das auch nicht mit "das ist ja so lang her" und "juristisches Klein-Klein" kleinreden.
Und auch abseits von diesem Politischen und wieder mehr zurück zum sozialen und gesellschaftlichen, es macht halt auch für die Emanzipation was aus, wenn durch geschlechtergerechte Sprache mehr gutes geschaffen wird. Es ist ein bisschen wie mit Repräsentation in den Medien. Ist man in der cisheteromännlichen Mehrheit kann man es schwer erkennen und verstehen, aber als Minderheit macht es wirklich einfach so viel aus, (positive) mediale Repräsentation zu haben. Nicht nur, damit sich Kinder auch mal wie ein Superheld fühlen können, der aussieht wie sie und nicht der 20.000ste muskulöse weiße Typ im Ganzkörperkondom, sondern um die Geißel patriarchaler Machtverhältnisse und Strukturen aufzubrechen und Ansätze für Alternativen zu schaffen. Dass "das Patriarchat" immernoch existiert und das Leben von Männern wie Frauen negativ beeinflusst muss ich hoffentlich keinem erzählen, und dass es abgeschafft gehört hoffentlich auch nicht. Geschlechtergerechte Sprache ist nicht das Mittel der Wahl dazu, aber ich erachte es als einen guten Schritt für gesellschaftlichen Wandel, wenn, etwas polemisch ausgedrückt, Feuerwehrfrauen genauso normal und präsent sind, wie Feuerwehrmänner; wenn Leute nicht denken "boah eine weibliche Software-Ingenieurin? Krass" oder "Na wie isses so als Klempnerin? Ist doch eigentlich ein Männerberuf oder"
Dieser ganze patriarchale Komplex von dem Mann als Standard und der Frau als Abweichung, Männern als Subjekt und Frauen als Objekt, Männern als Norm und Grundsatz und Frauen als Ausnahme und das "Andere" geht mir so mörderisch aufn Sack, und wird halt tagein tagaus von jedem Menschen durch die Sprache und dadurch geformte Gedankenwelt perpetuiert und aufrechterhalten. Wie gesagt, ich sag nicht, dass das Patriarchat zusammenbricht wenn wir an alles *innen dranhängen, aber es bringt halt auf jeden Fall viele Vorteile mit sich.
Mir ist auch bewusst, dass es, grade im Deutschen, auch Probleme mit der Implementation gibt. Allerdings haben sich da schon Leute, die deutlich schlauer sind als ich, Gedanken drum gemacht und Lösungen gefunden. Neutrale Formen wie "Studierende" statt "Studentinnen und Studenten" ist super handlich und inkludiert halt auch noch Menschen, die außerhalb vom Geschlechterbinär liegen und durch Letzteres nicht abgebildet würden. Das sind auch nicht irgendwelche blauhaarigen Studis mit Punkhintergrund und radikalfeministischen Ansichten, sondern ganz normale Menschen, und viele an der Zahl, aber gesellschaftlich unfassbar unsichtbar. Non-Binarität ist gefühlt in kaum einem öffentlichen Diskurs zu finden, und viele Leute wissen halt auch nichtmal, dass es existiert oder was genau es ist. Und auch hier, das ist kein neuer Trend sondern gibt es schon länger als es das fucking Christentum gibt, dessen Hardliner die scheiß Gesellschaft um Jahrhunderte mit ihren stockkonservativen hasserfüllten Ansichten geprägt und die Denkweisen vergiftet haben, was der Grund ist warum wir uns jetzt überhaupt mit diesem Rotz herumschlagen müssen. Ich weiß ich schreib mich grade in Rage, und das ist jetzt an niemand spezifisches gerichtet, aber so viele Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft, die rassistisch, homophob, transphob etc. sind und das alles niedermachen, wären die ALLERERSTEN, wenn sie selber in der Situation wären ohne die ganzen Privilegien die man als weiße männliche Cishete hat, die sich über die Ungerechtigkeit aufregten und nach Veränderung schrien. Ich gebe Brief und Siegel dafür, dass all die, die Wandel blockieren und auf Minderheiten herabblicken als wären wir Aussätzige in der vordersten Reihe des Protests stünden, wenn dieser, für sie unsichtbare, Berg an Ungerechtigkeiten den wir durchleiden müssen auch sie erreichen würde und sie selber davon betroffen wären. Meine Fresse.